Berit Brockhausen über Fernbeziehungen: „Enttäuschung ist die größte Gefahr!“

Berit Brockhausen über Fernbeziehungen

Immer mehr Menschen leben in Fernbeziehungen – sei es aus beruflichen oder privaten Gründen. eDarling hat die Paartherapeutin und Psychologin Berit Brockhausen zu Vor- und Nachteilen der Liebe auf Distanz befragt. Erfahren Sie im Interview außerdem Tipps, damit Ihre Fernbeziehung besser funktioniert.

Frau Brockhausen, wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich auf das Thema „Fernbeziehung“ zu spezialisieren?

Aufgrund eigener Erfahrungen. Ich wollte verstehen, warum ich mich nach einem halben Jahr Fernbeziehung unglaublich auf meinen Liebsten gefreut habe – aber sobald er da war, mich erst wieder an ihn gewöhnen musste.

Diese Erfahrungen und die Beschreibungen der Distanzpaare, mit denen ich gearbeitet habe, machten mir klar, dass eine Fernbeziehung die gelebte Liebe anders strukturiert und Stolpersteine enthält, an denen ein Paar scheitern kann. Die Partner müssen für bestimmte Schwierigkeiten schnell einen guten Umgang finden, um die Vorteile auskosten zu können.

Was sind die größten Gefahren, die in Fernbeziehungen auftreten können?

Enttäuschung ist die größte Gefahr. Während all der Zeit des Getrenntseins freut man sich auf den anderen, malt sich aus, wie es wird, tröstet sich in den Zeiten des Alleinseins damit, dass bald Nähe und Zärtlichkeit gelebt werden kann – um dann festzustellen, dass man am ersten Abend erst einmal „fremdelt“ anstatt leidenschaftlich übereinander herzufallen.

Die zweite große Gefahr besteht darin, notwendigen Streit zu vermeiden, was zu immer größerer Distanz zwischen den beiden Liebenden führt. Manchmal ist es gut, die gemeinsame Zeit bewusst gut zu gestalten und ärgerliche Kleinigkeiten einfach „durchzuwinken“. Doch wenn sich innerlich Groll ansammelt, muss er angesprochen und gelöst werden. Wird dies vermieden, zieht sich jeder innerlich ein Stück zurück – bis die Distanz zu groß wird, und man sich fragt, warum man eigentlich noch den Aufwand betreibt, sich zu sehen.

Kann eine Fernbeziehung auch Vorteile mit sich bringen?

Unbedingt! Manche Paare in meinen Beratungen erzählen, dass die zwei Jahre, in denen sie eine Fernbeziehung führten, zu den schönsten in ihrem gemeinsamen Leben gehörten.

Distanzpaare tun Dinge, die sie vernachlässigen, sobald sie zusammenleben: Sie nehmen sich bewusst Zeit für das Paar. Sie machen sich Gedanken darüber, wie sie diese Zeit zusammen genießen können, unternehmen etwas miteinander und sprechen viel. Dadurch wissen sie manchmal mehr über das Leben des anderen, als ein Paar, das in einer Wohnung nebeneinander her lebt.

Für viele ist es auch ein Vorteil, in der Woche viel Zeit für die Arbeit und Freunde zu haben, das Leben im eigenen Rhythmus zu führen und in der Wohnung schalten und walten zu können wie man will. Allerdings gibt es auch Menschen, für die eine Fernbeziehung wirklich nicht geeignet ist, weil sie die regelmäßige Nähe brauchen und nur von Telefonaten und ähnlichem nicht leben und lieben können.

Wie führt man eine gute Fernbeziehung?

Indem man sich klar macht, welche Herausforderungen sie mit sich bringt und herausfindet, wie sich Vorteile genießen lassen und mit den Nachteilen souverän umgegangen werden kann.

Das bedeutet konkret: In einer Fernbeziehung braucht das Paar gute Wege, in den Zeiten des Getrenntseins emotional die Verbindung zu halten und in Zeiten des Zusammenseins kleine Auszeiten einzurichten.

Vier Tipps für Fernbeziehungen:

1. Telefonieren Sie in Ruhe

Finden Sie heraus, zu welcher Zeit Sie in Ruhe telefonieren können. Manchmal ist abends nicht die beste Zeit, da sich der Abendanruf nur auf eine kurze Botschaft zum Gutenachtsagen beschränkt.

2. Gestalten Sie Ihre Begegnungen

Sie sollten die Wiederbegegnung so gestalten, dass Sie sich erneut aneinander gewöhnen können. Vielleicht ist es gut, erst einmal Zeit einzuplanen, in der Sie einfach nur beieinander sitzen oder einen Spaziergang machen. Ein Paar, das ich kenne, verbringt den ersten Abend ganz entspannt miteinander im Bett. Dort wird erzählt, gelesen, einander umarmt – bis beide das Gefühl haben, wirklich angekommen zu sein.

3. Führen Sie einen Statuswechsel herbei

Ebenfalls ist es nach einiger Zeit gut, den Status von „Besuch“ auf „befristetes Zusammenleben“ zu stellen. Dazu gehört ein eigener Ort in der Wohnung des anderen (z.B. ein Schrankfach oder Sessel). Und das Zusammenleben in dieser Zeit muss gestaltet werden: wer ist verantwortlich für Einkaufen, Kochen und Aufräumen. Hier kommt es häufig zu Konflikten, weil unklar bleibt, welche Rolle die beiden übernehmen, wenn es nicht mehr „Gast“ und „Gastgeber“ sind, wie in der Anfangszeit.

4. Entwickeln Sie ein Ritual für den Abschied

Wichtig ist auch ein Ritual für den Abschied, das Ihnen hilft, den Übergang in ihr eigenes Leben allein zu vollziehen. Und natürlich braucht jedes Paar in einer Fernbeziehung eine effektive Streit- und Konfliktlösungsroutine, damit sich nichts ansammelt, aber auch nicht zu viel Zeit mit unerfreulichen Auseinandersetzungen verloren geht.

Wie wirken sich räumliche Veränderungen auf die Beziehung aus? Gibt es diesbezüglich unterschiedliche Verhaltensweise, die Sie bei Männern und Frauen beobachten konnten?

Da ich auch mit gleichgeschlechtlichen Paaren arbeite, stelle ich immer wieder fest, dass nicht das Geschlecht für bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen entscheidend ist. Jedes Paar muss sich der Schwierigkeit stellen, dass zwei Menschen immer verschieden sind. Dann wird es leichter, mit den dadurch entstehenden Konflikten umzugehen. Diese sind kein Ausdruck fehlender Liebe, im Gegenteil: Wenn die beiden Liebenden sich egal wären, hätten sie vermutlich viel weniger Probleme!

Das gilt natürlich auch für räumliche Veränderungen. Jedes Fernbeziehungspaar, das endlich zusammenzieht, muss die Erfahrungen machen, dass es dadurch nur die Nachteile der Distanzbeziehung gegen die Nachteile des Zusammenlebens ausgetauscht hat. Während sie vorher sehr viel dafür tun mussten, um zusammen sein zu können, müssen sie jetzt aktiv werden, um etwas für sich oder allein mit anderen zu machen.

Wie kann man sich Ihr Coaching vorstellen? Welche Unterstützung bieten Sie betroffenen Personen an?

Als Paarberaterin arbeite ich natürlich an den Themen, die die beiden in meine Beratung führen. Manchmal sind wiederholte Streits der Anlass, manchmal Unzufriedenheit mit der Sexualität, aber auch Frust, weil es nicht gelingt, eine gemeinsame Perspektive für die Zukunft zu entwickeln.

Allerdings schaue ich in den Gesprächen sehr genau darauf, wie das Paar seine Fernbeziehung führt, um die Partner auch bei den zwangsläufigen Schwierigkeiten zu unterstützen, für die sie noch keine Lösung gefunden haben. Häufig stelle ich fest, dass den beiden gar nicht bewusst ist, wie sehr diese äußeren Schwierigkeiten ihre Probleme als Paar erschweren.

Wann raten Sie dazu, sich professionelle Hilfe zu suchen?

Wenn man das Gefühl hat, allein nicht weiter zu kommen. Aber auch, wenn sich die Gespräche im Kreis drehen und man nicht weiß, wie sich das, was einen ärgert, klären ließe. Wenn Ihnen die Beziehung am Herzen liegt, müssen Sie aktiv werden! Denn diese ungeklärten Dinge vergiften die schöne gemeinsame Zeit und können sich irgendwann als Sprengsatz für die Beziehung entpuppen.

Dieses Interview wurde schriftlich durchgeführt. Lesen Sie hier mehr zum Thema Fernbeziehung.

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